Datenabfrageaktion beim kommenden Heimspiel gegen Mainz

„3.100 Hooligans in NRW-Vereinen“ – so titelte die Rheinische Post vor einigen Wochen. Sie bezog sich damit auf die berühmt berüchtigte „Datei Gewalttäter Sport“ und die in ihr gespeicherten Fans, die aus Nordrhein Westfalen stammen.

Wir als Fanhilfe kritisierten über unseren Facebookkanal schnell die reißerische Überschrift, ebenso wie weitere Inhalte des Berichts. Zur Ehrenrettung der RP muss man sagen, dass der Artikel insgesamt ausgewogener war, als es die populistische Überschrift erstmal erahnen ließ und sie sie auf unsere Kritik hin abgeändert haben – auch, wenn wir mit der ersatzweise eingesetzten Headline „NRW-Klubs haben ein Gewaltproblem“ ebenfalls nicht d’accord gehen. Das tun wir deshalb nicht, weil wir der Auffassung sind, dass gerade die besagte Datei keinerlei Aussagekraft über Fans und Gewalt im Fußballkontext hergibt.

Warum sehen wir das so? Um das zu beantworten, liefern wir euch im Folgenden einen kurzen Crashkurs in Sachen „Gewalttäter Sport“ – was ist das eigentlich?

1994 wurde diese Datei nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz eingerichtet und wird seitdem von der Zentralen Informationsstelle Sport (ZIS) geführt, die ihren Satz unweit von uns in Duisburg hat und beim Landeskriminalamt NRW angesiedelt ist. In ihr sollen zentral Personen erfasst werden, die bei Fußballspielen durch Gewalt- oder Straftaten bereits auffällig geworden sind oder bei denen die Polizei davon ausgeht, dass sie auffällig werden könnten.

Das Ende des letzten Satzes haben wir bewusst dick markiert, da dies einer der großen Knackpunkte in Hinblick auf die Datei ist. Da die Bestimmungen, wer wie in die Datei aufgenommen wird, sehr schwammig sind, kann wirklich jeder in den „Genuss“ eines Eintrags kommen. Ein weiterer Knackpunkt: Personen, die in die Datei aufgenommen werden, werden darüber nicht informiert.

Eine Aufnahme in die Datei erfolgt, wenn:

  • Eine Person strafrechtlich verurteilt worden ist – auch, wenn es sich dabei um Straftaten handelt, die nichts mit Gewalt zu tun haben.
  • Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist – auch, wenn das Ermittlungsverfahren eingestellt oder mit einem Freispruch beendet wurde.
  • Es zu einem Platzverweis, einer Ingewahrsamnahme oder einer Personalienaufnahme gekommen ist – auch, wenn gar nichts strafrechtlich Relevantes passiert ist, geschweige denn im Nachgang dieses Ereignisses ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist.

Diese Punkte gelten nicht nur für das Stadion an sich. Auch das Stadionumfeld, die gesamte Hin- und Rückreise und sogar Ereignisse außerhalb von Spieltagen können zu einem Eintrag führen. Ebenso ist es irrelevant, ob man alleine, in einer individuellen Kleingruppe, einem Bus oder einem großen „Mob“ unterwegs ist – gespeichert wird immer!

Es ist unschwer auszudenken, dass diese Verfahrensweise zu einer Masse an Eintragungen führt, die a) zumindest nichts mit Gewalt zu tun haben und damit dem Namen der Datei zuwiderlaufen oder b) nicht einmal strafrechtlich relevant sind, geschweige denn eine Verurteilung als Basis haben.

Beispielsweise könnte das Überqueren einer roten Ampel als gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr oder das Kleben eines Stickers an einen Stadionzaun als Sachbeschädigung gewertet werden und beide Fälle würden ausreichen um fortan von der Polizei als „Gewalttäter Sport“ geführt zu werden. In einem anderen Fall könnte eine massenhafte und anlasslose Personalienfeststellung eines kompletten Buskonvois, wie wir sie in Mönchengladbach bereits erleben mussten, dafür sorgen, dass hunderte Fans auf einmal in der Datei landen – ohne irgendwie mit einer Straftat in Verbindung gebracht worden zu sein.

Dass die Polizei sich hier tatsächlich in blinder Sammelwut übt, brachte vor gut zwei Monaten die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion ans Licht:

  • 2.898 Eintragungen (etwa 28% der gesamten Datei) stammen von Personalienfeststellungen, Ingewahrsamnahmen und Platzverweisen – gegen mehr als jede vierten „Gewalttäter Sport“ wurde also nicht einmal ermittelt.
  • Darüber hinaus wurde gegen weitere 2.168 Personen lediglich wegen Beleidigung, Pyrotechnik oder Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (in der Regel Vermummungsverbot) ermittelt – diesen über zweitausend „Gewalttätern Sport“ wurde also gar keine Gewalt vorgeworfen.

Insgesamt ergibt sich also, dass rund die Hälfte aller „Gewalttäter Sport“ gar nicht vorgeworfen worden ist, Gewalt ausgeübt zu haben.

So skurril das Ganze klingen mag, so unschön sind die Auswirkungen auf die Betroffenen. Es bleibt nämlich nicht dabei, dass man in Statistiken geführt wird, die dann nachher in der RP so ausgelegt werden, dass das Bundesland oder der Verein des Fans ein „Gewalt-Problem“ hat. Ansprachen der Bundespolizei vor der Aus-/Einreise am Flughafen, ganze Ausreiseverbote, Meldeauflagen oder Gefährderansprachen können erfolgen. Zudem übermitteln deutsche Sicherheitsbehörden Informationen zum Teil auch ins Ausland, zuletzt bei der Weltmeisterschaft in Russland an den Gastgeber.

Genug der Ausführungen über die Datei. Wie wir bereits erwähnt hatten, werden Fans nicht über die Eintragung ihrer Person als „Gewalttäter Sport“ informiert. Wir als Fanhilfe wollen die Diskussion um den eingangs erwähnten RP-Artikel dazu nutzen, eine groß angelegte Abfrage an die ZIS zu starten. Dies hat den doppelten Effekt, dass ihr von eurem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gebraucht macht und wisst, was die Polizei über euch speichert und wir als Fanhilfe transparent machen können, in welchem Ausmaß und wie abstrus wie Datensammelwut auch die Gladbacher Fanszene betrifft.

Wir rufen daher auf, beim kommenden Heimspiel gegen Mainz am 21.10.2018, bei unserer Datenabfrageaktion teilzunehmen.

Alles, was ihr dafür tun müsst, ist vor dem Spiel zum Fanhilfestand (zentral vor der Nordkurve am Bus des Fanprojekt DeKull) zu kommen, einen Antrag auszufüllen und euren Personalausweis scannen zu lassen. Die Kopie verlangt die ZIS leider zur Verifizierung eures Antrags – wir werden die Daten, soweit dies möglich ist, jedoch schwärzen, sodass nur die Angaben zu sehen sind, die für die Verifizierung absolut notwendig sind. Der Fanhilfestand hat ab 2 ½ Stunden vor Anpfiff bis 15 Minuten vor Anpfiff für Euch geöffnet!

Kommt vorbei, macht mit und nehmt so euer Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Anspruch! Know your data!

Fanhilfe Mönchengladbach