Der Blick in die am Niederrhein relevanten Zeitungen hielt Anfang März 2017 für neun Borussen eine böse Überraschung bereit. In der Rheinischen Post, Bild, Express und Co. waren ihre Gesichter im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung abgedruckt. Sie wurden beschuldigt, ungefähr ein Jahr zuvor auf einer Zug-Rückfahrt aus Wolfsburg Straftaten gegen Dortmunder Fans verübt zu haben. Insgesamt liefen Ermittlungsverfahren gegen rund ein Dutzend Gladbacher.
Wir als Fanhilfe kritisierten diese Maßnahme bereits damals scharf. Die Öffentlichkeitsfahndung ist ein hartes Instrument, das einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Gesuchten darstellt. Diverse Gründe legten damals nahe, dass die Maßnahme unverhältnismäßig und rechtswidrig stattgefunden hat: So bekam eine der gesuchten Personen bereits Post wegen der Sache, andere Personen hätten der Polizei bekannt sein müssen. Darüber hinaus wurden Personen beschuldigt, die nachweislich nicht einmal in dem fraglichen Zug waren, weshalb die Zuordnung der vermeintlichen Täterschaft ohnehin dubios erschien. Unsere gesamte Stellungnahme von damals samt ausführlicher Erklärung findet ihr hier.
Die Auswirkungen einer Öffentlichkeitsfahndung sind unschwer auszumalen. Der Rechtfertigungsdruck vor Familien und Freunden ist enorm, am Arbeitsplatz können unangenehme Fragen bis hin zu handfesten Konsequenzen entstehen. Auch im vorliegenden Fall haben sich Szenen abgespielt, die für die Betroffenen unangenehmer nicht sein könnten. Ex-Freundinnen riefen bei der Polizei an und erzählten Geschichten, Chefs drohten mit der Kündigung, Familien gerieten in Streit ob der angeblichen Aktivitäten ihrer Söhne. Ein Borusse, der zu der Zeit sein Freiwilliges Soziales Jahr verrichtete, hatte aufgrund der Öffentlichkeitsfahndung massive Auflagen in seinen Tätigkeiten hinzunehmen, da man ihn nicht mehr unbeaufsichtigt lassen wollte – er stelle ja eine Gefahr dar.
Dass die Vorwürfe wenigstens nicht in allen Fällen wirklich begründet waren, musste die zuständigen Behörden im Januar 2018 einräumen: Die ersten Verfahren wurden eingestellt. Wir sahen uns damals in unserer anfänglichen Argumentation bestätigt und berichteten erneut.
Am gestrigen Donnerstag kam es dann zum Prozess gegen die übrigen sieben Beschuldigten. Im November 2018 wurde ein erster Verhandlungstermin abgesagt, da die Ermittlungsbehörden nur unvollständige Akten zur Verfügung gestellt hatten. Dass die Arbeit der Polizei nicht nur in diesem Fall mehr als fragwürdig erschien, zeigte der gestrige Verhandlungstag.
Im Laufe der Verhandlung ergaben sich durch Befragungen der ermittelnden Polizisten gleich mehrere kapitale Fehler. Den Zeugen, die die Borussen beschuldigten, waren nicht die kompletten Videos, sondern nur verkürzte Ausschnitte gezeigt worden, die gar nicht geeignet waren. Die Polizei präsentierte den Zeugen während der Ermittlungen außerdem vorgefertigte Lichtbildmappen. Auf den Fotos, die die Zeugen zur Identifikation vorgelegt bekommen sollten, waren die nachher Beschuldigten teilweise schon mit dem Zusatz „Tatverdächtiger“ gekennzeichnet.
Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass die Polizei den Zeugen quasi in den Mund gelegt hat, wen sie da beschuldigen sollten. Der Vorsitzende des Gerichts sowie die Vertreterin der Staatsanwaltschaft zeigten sich fassungslos. Der Richter sprach wörtlich von „hanebüchener Polizeiarbeit“. Die logische Konsequenz waren Freisprüche für alle Beschuldigten.
Der Fall wirft nun mehrere Fragen auf:
- War die Öffentlichkeitsfahndung angemessen? Nicht nur die Schwere der vermeintlichen Straftaten, sondern insbesondere auch die mehr als kuriose Zusammenstellung der Gesuchten lassen Zweifel an einer korrekten Polizeiarbeit erscheinen. Einige Betroffene hätten fraglos auch anders ermittelt werden können, letztendlich hat die Fahndung in keinem einzigen Fall zum Erfolg geführt. Sprichwörtlich gesprochen hat die Bundespolizei hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen – und das dann auch noch daneben.
- Hat die Polizei bewusst vorverurteilend gearbeitet? Im Prozess wurde deutlich, dass auch mithilfe der Mönchengladbacher SKBs, Personen identifiziert worden sind, die den Zeugen der Tat dann bereits als Tatverdächtige präsentiert worden sind. Videos sind derart verkürzt und geschnitten worden, dass es an Manipulation grenzt. Wenn sich selbst die Staatsanwaltschaft, die sich sonst immer schützend vor die Polizei stellt und auf diese verlässt, so geschockt zeigt, dann liegt hier ein Fall massiven Fehlverhaltens der Polizei vor.
- Können sich Medien auf die Polizei als privilegierte Quelle verlassen? Allzu oft begründet die Stellung der Polizei ein so großes Vertrauen in deren Meldungen und Aufrufe, dass diese ungefiltert und unkritisch übernommen werden, bei Pressemeldungen wird das Zwei-Quellen-Prinzip oft missachtet. Dass man sich im Zweifel so zum Gehilfen schlampiger Polizeiarbeit macht und damit das Leben der fälschlicherweise Beschuldigten auf den Kopf stellt, geht in der schnelllebigen Medienwelt glatt unter. Die Gesichter der Gesuchten als Beschuldigten wurden in Print- und Online-Versionen prominent platziert und sorgten für viel Aufsehen. Die Berichterstattung über die nun erfolgten Freisprüche fand in der Rheinischen Post Einzug in die Online-Berichterstattung, wurde auf Social Media aber nicht mal erwähnt. Bild und Express haben überhaupt kein Wort zum Ausgang des Prozesses verloren.
Wir freuen uns über die Freisprüche und die Tatsache, dass eklatante Ermittlungsfehler der Polizei aufgedeckt werden konnten sowie nicht zu falschen Verurteilungen geführt haben. Die enorme Tragweite der Öffentlichkeitsfahndung auf das Leben der Gesuchten muss aber Konsequenzen haben – für die Polizei sowie für die Arbeit von Medienschaffenden. Als Fanhilfe werden wir den Betroffenen helfen etwaige Staatshaftungsansprüche und Fortsetzungsfeststellungsklagen zu prüfen, die sich durch die fragwürdige Maßnahme der Öffentlichkeitsfahndung ergeben.
Fanhilfe Mönchengladbach